Simulationsmodell für die Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff in der Europäischen Metropolregion Nürnberg
Der Energie Campus Nürnberg hat heute zusammen mit seinen Partnern die Studie „Wasserstoff in der Metropolregion Nürnberg ‑ Analyse der Kompetenzen, Chancen und Herausforderungen“ vorgestellt. Die Partner bei der Erstellung der Studie waren neben dem Energie Campus Nürnberg die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, die ENERGIEregion Nürnberg e.V. und das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS. Der Auftraggeber der Studie war das Wirtschafts- und Wissenschaftsreferats der Stadt Nürnberg. Sie bescheinigt: Stadt und Metropolregion Nürnberg haben das Potenzial, zum Innovationszentrum für Wasserstoff-Technologien zu werden ‑ verbunden mit neuen Chancen für Wertschöpfung und Beschäftigung.
150 Akteure sind derzeit beim Thema Wasserstoff in der Metropolregion Nürnberg aktiv, davon 90 Unternehmen. Die Wasserstoff-Community konzentriert sich stark auf die Stadt Nürnberg ‑ mit allein 25 Unternehmen mit Wasserstoff-Aktivitäten ‑ sowie auf die umliegenden Städte und Landkreise. Die Chancen für weiteres Wachstum sind groß: Es wird prognostiziert, dass die Metropolregion in der Wasserstoffwirtschaft bis 2030 zwischen einer Viertelmilliarde und einer Milliarde Euro an neuer Wertschöpfung generieren kann.
Wirtschafts- und Wissenschaftsreferent Dr. Michael Fraas, der auch Vorsitzender der Kompetenz- und Clusterinitiative ENERGIEregion Nürnberg e.V. ist, sagt hierzu: „Nürnberg hat das Zeug zur Technologie-Anbieterregion für zukunftsfähige Wasserstofftechnologien zu werden. Wasserstoff leistet bereits heute einen Beitrag zur regionalen Wertschöpfung, insbesondere durch den Export von Technologie und durch die Generierung von Wissen. Bis zu 8.000 neue Jobs könnten in der Region in den nächsten Jahren entstehen; wenn wir unsere Karten richtig spielen. Kurzum: Wir sind Wasserstoff-Chancen-Region!“
Wasserstoff-Kernkompetenzen der Metropolregion Nürnberg liegen in den Bereichen Elektrolyse-Anlagen, Wasserstoff-Speicherung (insb. Liquid Organic Hydrogen Carriers) und Brennstoffzellen für stationäre sowie mobile Anwendungen. Ausgeprägt sind zudem komplementäre Wirtschaftszweige wie Maschinenbau, Verfahrenstechnik oder Industrial IoT, die ihr Angebot schnell an den Hochlauf von Wasserstofftechnologien anpassen und wichtiges Know-how beitragen können. Am Standort Nürnberg hat sich ein Spitzenforschungs- und Entwicklungscluster um den Energie Campus Nürnberg und das Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien ausgebildet.
Markus Rützel, Geschäftsführer des Energie Campus Nürnberg, betont: „Der Energie Campus Nürnberg als interdisziplinäre Energieforschungskooperation bündelt und koordiniert die verschiedenen Kompetenzen, die seine Partner in eine institutionsübergreifende Forschung einbringen. Wie alle anderen Energiethemen auch, erfordert die Entwicklung von Wasserstofftechnologien eine ganzheitliche Betrachtungsweise, um ein systemorientiertes Lösungskonzept im Markt zu implementieren. Angefangen von der Erzeugung grünen Wasserstoffs aus erneuerbaren Energien über Transport und Speicherung bis hin zur Anwendung ist der Energie Campus Nürnberg der Forschungspartner in der Region, der sowohl das Technologiewissen als auch die Vernetzung zu anderen Forschungseinrichtungen und Unternehmen aktiv einsetzt. Diese Erfolgsfaktoren werden zukünftig noch stärker für die Region ausgebaut.“
Im Benchmark mit den anderen Metropolregionen in Deutschland positioniert sich Nürnberg auf dem vierten Rang. Laut einer aktuellen Studie des Europäischen Patentamts und der Internationalen Energieagentur ist Nürnberg zudem TOP 5‑Regionalcluster in Deutschland für Wasserstoffinnovationen, gemessen an der Zahl der Patentanmeldungen.
Priv.-Doz. Dr. Tassilo Schuster, Senior Project Manager am Fraunhofer IIS, sagt dazu: „Der Schwerpunkt der hiesigen Wasserstoffwirtschaft wird in der produktbezogenen Wertschöpfungskette liegen, also in Entwicklung, Herstellung, Vertrieb und Export von spezifischen Wasserstoffschlüsseltechnologien. Besonderes Augenmerk zukünftiger Bemühungen sollte daher dem Aufbau eines leistungsstarken Arbeitsmarktes mit einer hohen Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Fachkräften, der Gestaltung einer wasserstoffaffinen Bildungs- und Forschungslandschaft mit einem direkten Transfer von Forschungsergebnissen in die Industrie und der Schaffung von begünstigten Rahmenbedingungen für die Unternehmenstätigkeit gelten. Die Stärke verbundener Industriezweige in der Metropolregion, wie dem Maschinenbau oder spezialisierten Anbietern von digitalen Lösungen, trägt zudem zur Attraktivität der Metropolregion als Technologie-Anbieter-Region bei“.
Die Studie „Wasserstoff in der Metropolregion Nürnberg ‑ Analyse der Kompetenzen, Chancen und Herausforderungen“ beleuchtet zudem die Anwendungspotenziale von Wasserstoff in der Metropolregion Nürnberg. Die Region ist hierbei gegenüber anderen Regionen erst einmal im Nachteil. Bei einem insgesamt geringeren Erzeugungspotenzial von Grünstrom aus erneuerbaren Energien gegenüber Gunstregionen in Küstennähe fehlen vor Ort auch Großabnehmer für Wasserstoff; wie große Stahlwerke oder chemische Industrie.
Bei einem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien könnte rechnerisch im Jahr 2030 mit überschüssiger elektrischer Energie grüner Wasserstoff durch Elektrolyse vor Ort im Umfang von ca. 9 bis 10 TWh erzeugt werden.
Prof. Dr.‑Ing. Reinhard German, Lehrstuhl für Informatik 7 (Rechnernetze und Kommunikationssysteme) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, erläutert: „Es sind allerdings starke Schwankungen der verfügbaren Leistung mit sehr großen Leistungsspitzen zu erwarten. Bei maximalem Ausbau der erneuerbaren Energien und Batteriekapazitäten kann so im Jahr 2030 Elektrolyse in höchstens 32 Prozent der Zeit überhaupt betrieben werden und dies oft nur mit geringen Leistungen. Um den Überschuss komplett abzufangen, wären daher Elektrolyse-Anlagen mit sehr großer Leistung erforderlich, die dann wenig ausgelastet sind. Nimmt man aber die in der Metropolregion zu erwartende geringe Auslastung in Kauf und nutzt auch Leistungsspitzen der erneuerbaren Erzeugung, so besteht ein nicht unerhebliches Erzeugungspotenzial für Wasserstoff. Es ist daher wichtig, in der Zukunft kombinierte Betriebsstrategien für die Anlagen im Energiesystem zu identifizieren, insbesondere für Batterien und Wasserstoffspeicher.“ Der Lehrstuhl Informatik 7 hatte im Rahmen der Studie die Energieflüsse in der Region in unterschiedlichen Szenarien simuliert.
Mögliche Anwendungsszenarien für grünen Wasserstoff liegen in der regionalen Papier‑, Glas- und Metallindustrie sowie perspektivisch im Schwerlastverkehr und in der Nutzung von Elektrolyseuren zur Stabilisierung des Stromnetzes. Gute Standorte für Wasserstofferzeugung finden sich dort, wo der Wasserstoff und Nebenprodukte der Elektrolyse (Wärme, Sauerstoff) direkt genutzt werden können, so z.B. in der Nähe von Kläranlagen oder Fernwärmenetzen.
„Auch wenn heute klar ist, dass sich Wasserstoff für große Teile des Mobilitätssektors aus Effizienzgründen nicht durchsetzen wird, gibt es doch große Bereiche der energieintensiven Industrie, die sich auf absehbare Zeit nicht elektrifizieren lassen“, gibt Prof. Dr. Jürgen Karl vom Lehrstuhl für Energieverfahrenstechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zu bedenken. „Vor allem die Prozesswärmeerzeugung kann auf Wasserstoff oder Wasserstoffderivate oft nicht verzichten.“
Wird der Mobilitäts- und Logistiksektor genauer betrachtet, so ergeben sich ganz spezifische Anwendungsfelder, bei denen sich Wasserstoffantriebe lohnen können. Derzeitig finden wissenschaftliche Forschungen u.a. auf dem Gebiet des Schwerlastverkehrs statt, aber auch für Bahnlösungen und in der Luft- und Raumfahrt.
Prof. Dr. Frank Opferkuch, Leiter des Kompetenzzentrums Energietechnik an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, sagt: „Schwere Nutzfahrzeuge mit Brennstoffzellen oder Wasserstoffmotoren können in der Metropolregion Nürnberg einen Bedarf von bis zu 240 Tonnen Wasserstoff pro Tag auslösen. Zur Versorgung dieser Fahrzeuge werden dann bis zu 55 neue H2‑Tankstellen entlang der Verkehrsachsen benötigt. Damit hat der Sektor Mobilität und Logistik ein großes Anwendungs- und Wertschöpfungspotenzial. Künftige Umweltauflagen, die anstehende Einführung des automatisierten Fahrens, die weitere Digitalisierung der Logistik, der noch unzureichende Reifegrad neuer, konkurrierender Antriebssysteme sowie die noch lückenhaften Versorgungssysteme für Strom und Wasserstoff machen derzeit aber Prognosen zu Mengen und Zeitpunkten unsicher.“
Die Studie gibt abschließend Handlungsempfehlungen, um die technologische Kompetenz der Region zu stärken und die wirtschaftlichen Potenziale zu heben. Es wird empfohlen, die wissenschaftlichen Kompetenzen der Universitäten, Hochschulen und der angewandten Forschung in einem Wasserstoff-Wissenszentrum zu bündeln und eine metropolitane Koordinationsstelle zum Thema Wasserstoff zu schaffen; damit sollen Vernetzung, Wissens- und Technologietransfer weiter gefördert werden.
Simon Reichenwallner, Netzwerkmanager der ENERGIEregion Nürnberg e.V., bestätigt: „Genau dies ist nun unsere Aufgabe. Einerseits müssen wir die regionalen Akteure noch besser vernetzen, um sowohl die Technologieentwicklung, als auch die Anwendung in der Praxis zu beschleunigen. Zum anderen ist es an der Zeit die überregionale Sichtbarkeit zu erhöhen und zu kommunizieren, dass unsere Unternehmen und wissenschaftlichen Institutionen bereit sind, ihren Beitrag zur globalen Energie- und Mobilitätswende zu leisten. Hier setzt auch unsere Initiative Wasserstoff-Metropolregion Nürnberg hy+ an, die wir auf Basis der Studienergebnisse weiter ausbauen wollen.“
Wirtschafts- und Wissenschaftsreferent Dr. Fraas sagt abschließend: „Die Studie zeigt uns deutlich auf, was wir tun können, um unsere Position als Wasserstoff-Kompetenzregion weiter zu festigen. Diese Hausaufgaben bleiben nicht liegen, sondern wir gehen sie gemeinsam an. Eine Schlüsselrolle kommt dabei unserem Forschungsleuchtturm Energie Campus Nürnberg und der Kompetenz- und Clusterinitiative ENERGIEregion Nürnberg e.V. zu.“
Die Studie kann im bibliografischen Verzeichnis runtergeladen werden. Link
Quelle: EnCN
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